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An einem Rundgang durch das jüdische Tiengen nahm jüngst das BTG11 der Justus-von-Liebig-Schule Waldshut mit ihrem Geschichtslehrer Malte Thomas teil. Ziel war es, nach der Lektüre des Stückes "Nathan der Weise" im Deutschunterricht der Historie einer jüdischen Gemeinde vor Ort näherzukommen. Die Reise begann mit einer freundlichen Begrüßung von Gebhard Kaiser, Vorsitzender des Freundeskreises Jüdisches Leben Waldshut-Tiengen, am Bahnsteig von Tiengen. Er erklärte uns den Gedanken hinter dem Freundeskreis. Angekommen an einem kleinen Parkplatz, erfuhren wir mehr über die Geschichte der Juden von Tiengen.
Kaiser erzählte von dem Schicksal des jüdischen Friedhofs und davon, wie er in der Reichspogromnacht von den Nationalsozialisten geschändet und zerstört wurde. Mit einem Teil der Grabsteine wurde eine Mauer errichtet, die sich eine Straße entlangzieht und über mehrere Grundstücke verläuft. Später, nach dem zweiten Weltkrieg, wurde diese aber wieder eingerissen und mit normalem Stein erneut gebaut. Man munkelt, dass ein Teil dieser Mauer heute noch aus Grabsteinen besteht. Der damalige Besitzer soll, als er von dem geplanten Einriss der Mauer hörte, seinen Teil verputzt haben, um die Steine zu verstecken. Heute steht eine Gedenksäule aus genau diesen Steinen auf dem Friedhof.
In der Altstadt angekommen, standen wir vor dem Gebäude, in dem sich um 1900 die Metzgerei von Max Guggenheim befand. Es existierten Anzahl von jüdischen Geschäften in Tiengen, weitere Beispiele sind die beiden Aussteuergeschäfte und eine Lederhandlung sowie eine Druckerei. Die Geschäfte und die, welche sie betrieben haben, litten stark unter dem Naziregime. Ein paar Schritte weiter und wir befanden uns an dem ehemaligen Frauenbad. Blut gilt im jüdischen Glauben als unrein. Man musste sich in einem Frauenbad reinwaschen, nachdem man es berührt hatte. Das Becken war nicht beheizt und somit eiskalt.
Ein Halt, der uns besonders bedrückte, war das Gebäude der ehemaligen Synagoge. Zu ihrer Errichtung hörten wir folgende Anekdote: Ein umherziehender jüdischer Händler soll Rast gemacht haben und die Nacht auf einer Kunst, eine durch einen Ofen beheizte Sitzmöglichkeit, verbracht haben. Sein Rucksack, in dem Kerzen, Lose einer Schweizer Bank und andere tägliche Gegenstände waren, lag ebenfalls auf der Kunst. Der Händler erwachte mit einem Schrecken, als er sah, dass die Kerzen geschmolzen und die Lose zerstört waren. Wie es der Zufall so will, war eines dieser Lose der Hauptgewinn. Mit einem Haufen Geld und überfordert von seinem Schicksal, fragte der Händler nach Rat bei dem damaligen Rabbi. Dieser meinte, er solle das Geld benutzen, um eine Synagoge in Tiengen zu errichten.
Manchmal mussten jüdische Beter vom Markt gerufen werden, damit der Gottesdienst beginnen konnte, es benötigt nämlich zehn Männer, um einen halten zu können. Auch die Synagoge wurde in der Reichspogromnacht zerstört. Man vernichtete die Inneneinrichtung und verbannte sie auf dem Marktplatz. Das Gebäude selbst sollte auch verbrannt werden, nur hätte das einen Großbrand innerhalb der Stadt ausgelöst, weshalb man es unterließ. Später wurde die Synagoge von einem Handwerker gekauft, der sie in eine Werkstatt umbaute.
Die Bildung war der jüdischen Gemeinde sehr wichtig. Es war etwas, was man ihnen nicht nehmen konnte. Sie kauften ein Gebäude mit zwei Stockwerken, im ersten befand sich das Klassenzimmer, im zweiten die Wohnung des Lehrers. Die Schülerinnen und Schüler lernten hier unter anderem, wie sie mit der Tora umzugehen hatten und Elementarbegriffe der hebräischen Sprache.
Auf dem Weg durch die Stadt stießen wir immer wieder über Stolpersteine vor Häusern, die an die damaligen jüdischen Einwohner erinnern. Namen, aber auch Todestag sowie der Standort dessen sind auf diesen goldenen Stolpersteinen verzeichnet. In Tiengen selbst wurde nicht gemordet, durchaus wurde aber bloßgestellt, terrorisiert und entführt. Wenn man in den Medien von den schrecklichen Vergehen an den Juden hört, ist einem oft nicht bewusst, wie nah an einem selbst diese Taten eigentlich passiert sind. Wir danken den Mitgliedern des Freundeskreis Jüdischen Lebens für ihre kulturelle Arbeit und insbesondere Kaiser für den geführten Rundgang durch das jüdische Tiengen.
Tom Sernatinger, BTG11, Schuljahr 2022/23